AfD-Erfolg verändert Parteienlandschaft

Die Wahlerfolge der AfD in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz haben die bisherige Parteienlandschaft durcheinandergewürfelt wie ein Wirbelwind. Eine Analyse.

Eigentlich hatten die Demoskopen es vorhergesagt. Doch so richtig glauben konnten es die meisten nicht. Erst als die die Hochrechnungen über den Bildschirm liefen, sackte es in Bewusstsein: Das war eine Wahlrevolution, wie es sie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hatte. Es war eine Sensation!

Wer hätte das vor zwei Jahren geahnt: Die AfD überrundet in gleich zwei Bundesländern die SPD! In Sachsen-Anhalt wird sie sogar zu 24 Prozent gewählt. Niemals zuvor war eine neue Partei bei einer ersten Landtagswahl so stark gestartet. Damit ist die AfD ist Sachsen-Anhalt die zweitstärkste politische Kraft. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die drittstärkste.

Die Volksparteien haben erstmals wegen Stimmenmangels in zwei Bundesländern nicht die Option einer großen Koalition. Die totgeglaubte FDP konnte reanimiert werden. Und die Grünen überrunden die CDU als stärkste Partei in Baden-Württemberg. Wenn das kein überraschender Wahlabend war.

Der langjährige Trend der geringer werdenden Wahlbeteiligung konnte gestoppt werden. Diese Kehrtwende geht vor allem auf das Konto der AfD, die zahlreiche ehemalige Nichtwähler aus der Frustration zurück an die Wahlurnen brachte. Das ist ein Erfolg für die Demokratie, auch wenn das die etablierten Altparteien nicht honorieren wollen.

Wandel der politischen Landschaft in Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz hat viele bedeutende Ministerpräsidenten hervorgebracht, die später in der Bundesregierung große Ämter übernahmen. Helmut Kohl (CDU) war hier von 1969 bis 1976 Ministerpräsident, bevor er 1982 Kanzler wurde. Damals war die CDU in Rheinland-Pfalz sehr stark. 1975 bekam sie satte 53 Prozent.

Auch sein Nachfolger Bernhard Vogel (CDU) konnte als Amtsträger hohes Ansehen ernten. Von 1976 bis 1988 war er Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, und von 1992 bis 2003 Ministerpräsident des Freistaates Thüringen. Auch nach der Wende zur SPD kamen aus dem Land wichtige Politikerpersönlichkeiten, wie zum Beispiel Rudolf Scharping, der von 1991 bis 1994 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz war. Später wurde er Kanzlerkandidat der SPD und Verteidigungsminister. Zünglein an der Waage war stets die als Koalitionspartner beliebte FDP, bis sie 2011 von der politischen Bühne des Bundeslandes verschwand.

Doch diese Verhältnisse zählen nicht mehr. Zwar wurde die SPD unter der Ministerpräsidentin Malu Dreyer bestätigt, doch der kleine Koalitionspartner Die Grünen wurde abgestraft: Von 15,4 Prozent auf 5,3 Prozent, ein Absturz um zwei Drittel. Wenn das keine Quittung ist.


Es ist vor allem die AfD, die mit 12,6 Prozent die Parteienlandschaft in Rheinland-Pfalz verändert hat. Für eine rot-grüne Regierung reicht es nicht mehr. Nun geht nur noch ein Dreierbündnis mit der FDP oder eine große Koalition.

Politisches Beben im Ländle

Baden-Württemberg war über fünf Jahrzehnte eine Hochburg der CDU. Sie schien unangreifbar. 1976 erreichte sie sogar mehr als 56 Prozent der Wählerstimmen. Manchmal konnte sie allein regieren, manchmal mit Hilfe der FDP. Doch ein großer Regierungswechsel schien jahrelang utopisch. Zahlreiche bekannte Ministerpräsidenten hat Baden-Württemberg hervorgebracht. Sie wurden wie Landesväter verehrt. Kurt Georg Kiesinger, Erwin Teufel und Lothar Späth genossen hohes Ansehen.

Das erste Beben ereignete sich bei der Landtagswahl 2011. Damals überraschte der Wahlervolk der Grünen. Dem vorrausgegangen war der Skandal um Stuttgart 21 und die Unbeliebtheit des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Die Entwicklung der Grünen in Baden-Württemberg unterscheidet sich von jener in anderen Bundesländern.

In Baden-Württemberg sind es traditionell die sogenannten Realos, die den Ton angeben. Ihnen steht vor allem Bürgernähe und Umweltschutz nahe. Damit unterscheiden sie sich von den grünen Fundis in Berlin. So kommt es, dass die Grünen auch für Teile aus dem bürgerlichen Lager wählbar waren. Hinzu kommt das spezielle Milieu der Universitätsstädte Heidelberg, Freiburg und Tübingen, in denen die Grünen schon seit vielen Jahren besonders stark sind. Die SPD ist in Baden-Württemberg traditionell sehr schwach. Hochburgen hat sie nur in den Arbeitervierteln mancher Großstädte wie etwa Mannheim.

Und nun, im März 2016 folgte das zweite Beben. Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann konnte vor allem persönlich punkten. Er hat die Rolle des typischen Landesvaters übernommen und somit einen Teil der CDU-Wähler gewinnen können. Auch viele SPD-Wähler sind zu den Grünen gewechselt, weil sie auf eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition gehofft haben. Doch abgesehen von dem persönlichen Erfolg Kretschmanns, der den Grünen ein historisch einmaliges Hoch beschert hat, ging es für die meisten Parteien bergab.


Profiteure der Wählerwanderung war zum einen die wiederbelebte FDP, doch vor allem die neu angetretene AfD, die aus dem Stand heraus mehr als 15 Prozent erhielt. Damit hat sich Baden-Württemberg grundlegend gewandelt. Von einem Land, in dem über viele Jahrzehnte die Konstellation wie in Stein gemeißelt festgeschrieben schien, zu einem Land, in dem alles möglich ist. Das ist in der Tat eine bundeshistorische Sensation.

Doch auch im Detail gab es Sensationen. So konnten einige AfD-Politiker Direktmandate gewinnen. Der AfD-Gewinner in Pforzheim, Bernd Grimmer, war früher für die Grünen, dann für die Freien Wähler im Gemeindetrat. Hier sieht man, zu welcher Flexibilität und zu welchem Wandel die baden-württembergische Parteienwelt plötzlich fähig geworden ist. Nichts ist mehr festgefahren.

Die AfD konnte übrigens nicht nur wegen des Themas der Flüchtlingskrise die Wähler überzeugen. Wie der dortige Spitzenkandidat Jörg Meuthen erklärte, wurde auch das politische Programm der AfD zu Familienpolitik und Bildungspolitik sehr beachtet. Hier war die AfD die einzige klare Opposition zur rot-grünen Politik. Die Wähler scheinen es bemerkt und gedankt zu haben.

Feste Größe im Osten

Dass die AfD in den neuen Bundesländern als politische Größe mittlerweile angekommen ist, ist bekannt. Dennoch ist der aktuelle Stimmenanteil von rund 24 Prozent in Sachsen-Anhalt, das ist ein Viertel der Wählerschaft, beeindruckend.

Parallel gab es große Verluste der Linkspartei. Auch wenn beide Parteien auf dem ersten Blick konträr erscheinen, haben sie in Bezug auf die neuen Bundesländer viel gemeinsam. Denn die Wahlen in Sachsen oder Sachsen-Anhalt sind oftmals spiegelverkehrt zum Bundestrend oder zur Regierung in Berlin. Das ist offenbar eine Protesthaltung. Viele Menschen in den neuen Bundesländern fühlen sich von der Bundespolitik in Berlin und von der EU-Politik in Brüssel übergangen, im Stich gelassen. Den Frust hierrüber drücken sie im Protestwahlverhalten aus. Und die bisherige Protestpartei des Ostens waren die Linken. Nun scheint sich dies verändert zu haben.


Insbesondere in den neuen Bundesländern war die Kritik an der Immigrationspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel hoch. Das schlägt sich nun in Wahlergebnissen nieder. Tatsächlich haben alle im Landtag vertretenen Parteien massiv an Stimmen eingebüßt. Lediglich die AfD hat ein Rekordergebnis eingefahren.

Welche Koalitionen sind wahrscheinlich?

Die Politiker sondieren aktuell ihre Koalitionsmöglichkeiten. In Baden-Württemberg scheint die erste grün-schwarze Koalition möglich. Die CDU ziert sich aber noch und scheint momentan eine Koalition mit der SPD und der FDP zu bevorzugen, sozusagen die Deutschland-Koalition (schwarz-rot-gelb/bzw. “gold“). Denn dann könnte die CDU trotz des Wahldebakels den Ministerpräsidenten stellen. Das wäre natürlich gegen den Mehrheitswillen der Wähler. Denn Winfried Kretschmann ist beliebter als CDU-Kandidat Guido Wolf. Am Ende liegt es auch an der SPD, ob sie der Versuchung der Macht unterliegt oder nicht. Das desaströse Wahlergebnis sollte sie allerdings hiervon abschrecken. Eine große Koalition ist in Baden-Württemberg wegen des jämmerlichen SPD-Ergebnisses von nur 12,7 Prozent nicht möglich.

In Rheinland-Pfalz gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: eine große Koalition oder eine Koalition aus SPD, Grüne und FDP. Malu Dreyer scheint auf jeden Fall Ministerpräsidentin zu bleiben. Für Julia Klöckner wartet sehr wahrscheinlich ein Ministeramt, falls es zur großen Koalition kommen sollte.

In Sachsen-Anhalt sieht es schwierig aus. Da die CDU nicht mit den Linken paktieren möchte und sich vor der AfD ziert, wird es wohl zu einer seltsamen Koalition aus CDU, SPD und Grünen kommen. Die FDP hat trotz Gewinne den Einzug ins Landesparlament nicht geschafft und fällt somit als Koalitionspartner aus.

Die AfD bereitet sich derweil auf ihre parlamentarische Oppositionsrolle vor. Vielleicht ist dies für eine neue und junge Partei der beste Einstieg. Sie wird die anderen Parteien weiterhin vor sich hertreiben und die Themen des politischen Diskurses mitbestimmen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf freiewelt.net