Die alltägliche Gewalt in Kindertagesstätten

Deutschlands Kitas haben allenfalls durchschnittliche Qualität. Nur sehr wenige Einrichtungen rangieren im oberen Qualitätsbereich. Wenn Eltern ihr Kind in der Kita zurücklassen, geschieht das oft mit einem unguten Gefühl, Zu Recht, wie ein aktuelles Buch der Pädagogin Anke Ballmann enthüllt. Denn an fast jeder Kita gibt es Erzieher, die psychische und physische Gewalt gegen Kinder ausüben.

Sie habe hunderte von Kitas in Bayern besucht, berichtet Anke Ballmann im Interview mit Focus online. In fast jeder von ihnen werden Kinder gedemütigt, heruntergeputzt und vor anderen bloßgestellt. Sie selbst ist Leiterin eines privaten pädagogischen Zentrums in München, das Erzieher ausbildet. In ihrem Buch »Seelenprügel. Was Kindern wirklich in Kitas passiert. Und was wir dagegen tun können« macht sie ihrem Herzen Luft und berichtet von haarsträubenden Vorfällen.

Ballmann listet viele Beispiele auf, in denen Kinder zu Opfern des Machtgefälles zwischen ihnen und den Erziehern werden. Sobald die Tür hinter den Eltern zufällt, ändere sich der Tonfall in den Einrichtungen. Die promovierte Pädagogin erzählt in ihrem Buch unter anderem von einem Vorkommnis, bei dem sie selbst Zeugin war. Eine Erzieherin fuhr mit einem Kinderwagen ein Mädchen einfach über den Haufen. Es hatte einfach nur verträumt dagesessen und deshalb nicht sofort Platz gemacht. »Siehst du, das hast du nun davon!«, habe die Erzieherin dem Kind daraufhin zugerufen.

Genervte Erzieher, die sich wegdrehen, wenn ein Kind mit einem Anliegen kommt. Erzieher, die demonstrativ mit den Augen rollen, wenn ein Kind nicht schnell genug ist oder die Anweisung nicht auf Anhieb versteht. Erzieher, die verbal übergriffig werden und ein Kind in der Gruppe als »dumm und faul« herunterputzen, Erzieher, die von den Kindern verlangen, gefälligst leise zu sein, selbst aber schreien. Erzieher, die Kinder zwingen, etwas zu essen, das sie nicht wollen. Oder die sagen, daß »Mami ganz traurig ist«, wenn es dieses oder jenes nicht macht.

Es gibt auch Erzieher, die eine Form subtiler Tyrannei ausüben, indem sie darauf bestehen, daß ein Kind sein Bild in bestimmten Farben malt oder Kitas, die die Kinder in übertrieben strenge Abläufe zwingen, wo kaum Raum für freies Spiel oder spezifische Bedürfnisse der Kinder bleibt. Manchmal mag ein Kind keinen Mittagsschlaf mehr machen, so Ballmann. Dann müssen die Erzieher darauf eingehen. In vielen Fällen siegt jedoch die Bequemlichkeit: In einer bayerischen Einrichtung wurden Kinder gezwungen, sich zwei Stunden in einen dunklen Raum zu legen, obwohl sie nicht schlafen konnten. Die Erzieher wollten ungestört ihre Pause genießen.

Anke Ballmann empfiehlt Eltern, genau auf die Signale ihres Kindes zu achten und dem Umgangston in der Kita aufmerksam zu lauschen. Geht es eher ruppig zu, wird kaum gelacht, hetzen die Erzieher nur herum und antworten nur kurz und knapp, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß der Respekt gegenüber den kindlichen Bedürfnissen unter dem generellen Streß der Erzieher leidet. Ballmann spricht von »schwarzen Schafen«, die es in fast jeder Belegschaft gäbe. Diese Erzieher seien schlichtweg ungeeignet für ihren Beruf, denn sie haben offenbar keinen Begriff davon, wie traumatisch sich ihr rohes Benehmen sich in die Kinderseele brennt. Ein Kind, so Ballmann, gerate dann in schwere Konflikte: Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und Wertlosigkeit stellten sich ein. Außer ein Appell an die Politik, Erzieher besser auszubilden und für mehr Aufklärung und Kontrollen zu sorgen, hat Ballman allerdings nicht zu bieten. Dabei wäre es so einfach: Gebt den Eltern, die wegen des Erwerbsdrucks auf Gedeih und Verderb der Kitabetreuung ausgeliefert sind, endlich mehr Wahlfreiheit zur Realisierung ihres Erziehungsideals. Dann braucht es auch nicht mehr so viele Erzieher. Von wem werden die eigentlich erzogen?

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